Wann tritt ZNS-Ermüdung auf?

Fühlst du dich müde nach schwerem Kreuzheben? Nach schweren Kniebeugen? Dein ZNS (Zentrales Nervensystem) muss wohl stark ermüdet sein… oder nicht?

Wie mit vielen komplexen Thematiken im Fitnessbereich gibt es auch beim Thema ZNS-Ermüdung einiges klarzustellen.

Gängige Weisheiten besagen, dass man sein Training deshalb sehr achtsam strukturieren solle, damit keine zu hohe ZNS-Ermüdung, also eine Überlastung des Zentralnervensystems, entstehe. In diesem kurzen Übersichtsartikel gehe ich genauer darauf ein und erkläre dir, warum dieser Gedanke fehlgeleitet ist und wann wirklich ZNS-Ermüdung auftritt.

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Inhalt:

  1. Was ist ZNS-Ermüdung?
  2. Mythen über ZNS-Ermüdung
  3. Konklusion: ZNS-Ermüdung
  • Weißt du, warum dich Kniebeugen und Kreuzheben so sehr ermüden?
  • Weißt du, warum du nach einem harten Training Probleme mit dem Schlafen hast?
  • Weißt du, warum Verbundübungen und Training mit hoher Intensität anstrengender sind als Isolationsarbeit und Sätze mit höheren Wiederholungen?

Angeblich steckt die Ermüdung des Zentralnervensystems dahinter (ZNS-Ermüdung; eng. CNS fatigue). Ermüdung ist aber ein nicht so simples Konzept und hier gibt es unzählige scheinwissenschaftliche Herangehensweisen.

Lass uns also genauer anschauen, was ZNS-Ermüdung wirklich bedeutet und welche Relevanz sie für dein Training hat!

1. Was ist ZNS-Ermüdung

Bei der ZNS-Ermüdung geht es um das Gehirn und das Rückenmark. Wenn dein ZNS „müde“ ist, hat es Probleme damit, deine Muskeln zu kontrollieren. Obwohl deine Muskeln also eine Menge Kraft liefern könnten, wären sie dabei begrenzt. Sie bekommen nicht mehr die richtigen Anweisungen.

Zentrale Ermüdung tritt also dann auf, wenn die Stimulation durch den motorischen Kortex und/oder die Aktivität der Motoneuronen abnimmt. Mit anderen Worten, es ist eine Abnahme der willentlichen Muskelaktivierung.

Die ZNS-Ermüdung unterscheidet sich von der peripheren Ermüdung, die außerhalb des ZNS auftritt. Muskelschäden und Stoffwechselstress in den Muskeln sind ein Beispiel für periphere Ermüdung. Diese Effekte sind lokal und spezifisch für den Muskel, in dem sie auftreten.

Wenn du dir beispielsweise eine Kniesehne anreißt, hat das nicht unbedingt Auswirkungen auf deinen Quadrizeps oder auf deine Waden. Dies steht im Gegensatz zur neuronalen Ermüdung, die deinen gesamten Körper betreffen kann.

2. Mythos A: Je höher die Trainingsintensität, desto mehr ZNS-Ermüdung generierst du

Man sagt, dass ZNS-Ermüdung typischerweise bei höheren neuronalen Anforderungen oder bei hochintensivem Training auftritt. Es klingt sehr plausibel: Je höher der Prozentsatz deines 1RM, desto mehr Arbeit muss das ZNS leisten und desto mehr ermüdet es auch. Klingt plausibel, oder?

Falsch: es ist genau andersrum. Beim Ausdauertraining mit Vollbelastung ist die zentrale Ermüdung nach einem Training mit geringerer Intensität (d.h. mit kleineren absoluten Belastungen) größer als bei einem Training mit höherer Intensität [2, 3, 4].

In den meisten Fällen tritt nach einem harten Ausdauertraining mehr ZNS-Ermüdung auf als nach einem harten Krafttraining.

Unterschiede der ZNS Ermüdung bei Kraft- bzw. Ausdauertraining

Neuronale Ermüdung ist nach Ausdauertraining, wie z.B. Marathons, leicht zu erkennen. Allerdings müssen Wissenschaftler oft großen Aufwand betreiben, um beim Krafttraining zuverlässig eine ZNS-Ermüdung hervorzurufen.

Als Beispiel für eine „Krafttrainings“-Studie, die eine signifikante zentrale Ermüdung feststellte, untersuchten Smith et al. (2007) eine 70-minütige! Bizepskontraktion ein etwas extremeres Protokoll. Eine ähnliche Studie fand zentrale Ermüdung nach einer 4-minütigen Dorsalflexor-Kontraktion.

Ein realistischeres Programm verglich 3 Sätze mit 12 Wiederholungen, mit 1 Minute Pause zwischen den Sätzen; vs. 5 Sätze mit 3 Wiederholungen, mit 3 Minuten Pause zwischen den Sätzen.

Was von beiden verursacht mehr neuronale Ermüdung? Gewagte Frage: Keines der beiden Trainings verursachte jegliche ZNS-Ermüdung. Auch andere Untersuchungen konnten keine Ermüdung des ZNS beim Krafttraining feststellen, unabhängig von der verwendeten Intensität.

Tatsächlich fanden beide Studien einen Anstieg der zentralen motorischen Leistung, vermutlich um die periphere Ermüdung zu kompensieren. Also r nicht nur alles periphere Ermüdung; das ZNS machte tatsächlich Überstunden, um die lokale Ermüdung auszugleichwaen.

Eine große Einschränkung aller oben genannten Studien ist, dass die Trainingseinheiten nur aus Isolationsübungen bestanden haben. Compound-Übungen (Verbundübungen), so die Meinung vieler, würden das ZNS stärker ermüden als das Training eines einzelnen Körperteils. Mal sehen, was in einer realistischen Trainingssituation passiert.

ZNS-Ermüdung bei Eliteathleten

Howatson et al. (2016) untersuchten die neuromuskuläre Erholung von Spitzensportlern. Diese Jungs haben über 190 kg gebeugt und sind die 100 Meter in 10,44 Sekunden gelaufen. Der Weltrekord liegt bei 9,58 Sekunden, aufgestellt von Usain Bolt im Jahr 2009. Die Damen rockten eine 108kg Kniebeuge und liefen die 100m in 11,73 Sekunden. Der Weltrekord liegt bei 10,49 Sekunden, aufgestellt von Florence Griffith-Joyner im Jahr 1988.

Diese Elite-Athleten führten dann eines ihrer normalen Workouts durch, bestehend aus 4 Sätzen a 5 Wiederholungen von Kniebeugen, Split-Squats und Push Presses: Insgesamt 12 Sätze schwerer Verbundarbeit. Split Squats sind ein starker Kandidat für die brutalste Übung im Krafttraining. Push Presses umfassen die gesamte menschliche Bewegungskette von den Füßen bis zu den Händen und involvieren mehr Muskeln als Squats und Deadlifts. Was glaubst du, wie lange es gedauert hat, bis die zentrale Ermüdung nach diesem Training vorbei war?

Das war eine Fangfrage: Es gab keine zentrale Ermüdung. Die willkürliche ZNS-Aktivierung nahm von vor bis nach dem Training nicht ab und war auch 24 Stunden später noch stabil.

Natürlich gab es eine signifikante neuromuskuläre Ermüdung, die sich in einer verringerten Muskelkontraktionskraft und einem unbedeutenden Trend zu einer geringeren Sprungkraft zeigte.

Es gab auch Stoffwechselstress, der durch einen Anstieg des Blutlaktats gemessen wurde. Aber das Nervensystem hatte keine Mühe, die Muskeln zu aktivieren. Die Muskeln selbst waren einfach erschöpft, wahrscheinlich durch die Schäden vom Training und die Stoffwechselbeanspruchung. Die Müdigkeit war also lokalisiert, in den Muskeln – nicht im zentralen Nervensystem.

Wenn ein solches Training keine Ermüdung des ZNS hervorruft, welches Training denn dann?

Ermüdung des Muskels vs. neuronale Ermüdung

Wenn du darüber nachdenkst, macht es Sinn, dass das ZNS nicht leicht ermüdbar ist. Die Ermüdung der Muskeln ist leicht vorstellbar: Sie kann mechanisch auftreten. Muskelfasern können durch die Spannung harter Kontraktionen buchstäblich reißen.

Wenn es um das ZNS geht, sprechen viele Menschen von „neuronaler Ermüdung“. Wie funktioniert das aber?

Das ZNS ist besser mit einem Computer zu vergleichen, als mit einem Muskel. Ein Computer wird nicht müde vom Gebrauch. Natürlich kann er mit der Zeit überhitzen und langsamer werden, aber der Computer wird nicht akut ermüden. Es wird nicht langsamer und langsamer innerhalb der gleichen Einheit. Wie würde das ZNS also müde werden?

Einige Wissenschaftler bestreiten, dass es überhaupt eine ZNS-Ermüdung gibt. Der Großteil dessen, was bisher als ZNS-Ermüdung angesehen wurde, kann tatsächlich durch lokale Ermüdung erklärt werden.

Nichtsdestotrotz, wie wir oben gesehen haben, ist die ZNS-Ermüdung ein reales Phänomen. Die „Müdigkeit“ bzw. Überlastung des ZNS entsteht wahrscheinlich indirekt über andere Mechanismen.

Zum Beispiel könnte sie neurochemisch sein: Durch die Wirkung von Neurotransmittern. Oder sie könnte metabolisch sein: Die muskuläre Ammoniakproduktion während des Trainings kann in das Blut übergehen und die Blut-Hirn-Schranke passieren, was zu Neurotoxizität führt [2, 3].

Ein hohes Aktivitätsniveau des motorischen Kortex an sich führt in keinem Fall zu einer Ermüdung des ZNS. Niedrige Wiederholungen verursachen also nicht mehr neuronale Ermüdung als höhere Wiederholungen.

Mythos B: Je höher der Compound-Faktor, desto mehr ZNS-Ermüdung generierst du

Eine alte Bro-Weisheit besagt, dass Deadlifts die Überlastung schlechthin für dein ZNS seien. Schwere Deadlifts würden das ZNS so sehr ermüden, dass du sie nur ab und zu machen kannst, weil du sonst übertrainiert wirst. Kniebeugen wären der Thronfolger. Isolationsübungen würden keine Ermüdung des ZNS` verursachen.

Die Wissenschaft hat dazu eine andere Meinung.

Das bereits erwähnte schwere Training mit Push Presses, Squats und Split Squats hat keine neuronale Ermüdung verursacht. Mehrere Studien, die eine neuronale Ermüdung feststellten, verwendeten Beinstreckungen oder Bizepscurls. Isolationsübungen können also eine nachweisbare Ermüdung des ZNS hervorrufen, während Verbundübungen dies nicht unbedingt tun. Wie sieht es also mit einem direkten Vergleich innerhalb der gleichen Studie aus?

ZNS-Ermüdung: Verbundübungen vs. Isolationsübungen

Wie erwähnt glauben viele, dass Kreuzheben die größte Ermüdung des ZNS hervorruft. Barnes et al. (2017) beschlossen, diese Behauptung auf die Probe zu stellen. Sie ließen trainierte Männer 8 Sätze a 2 Wiederholungen bei 95% 1RM mit 5 Minuten Pause zwischen den Sätzen bei der Kniebeuge und dem Kreuzheben zu verschiedenen Zeiten machen. Diese schweren Powerlifting-Workouts führten tatsächlich zu einer zentralen Ermüdung, aber nicht wesentlichl: Eine 5-10%ige Abnahme der zentralen neuronalen Leistung.

Trotz der höheren Gewichte, die verwendet wurden, und der größeren Menge an Muskeln, die involviert waren und der größeren Gesamtarbeit, die während des Kreuzhebens aufgewendet wurde, führten die Deadlifts nicht zu einer größeren zentralen Ermüdung als die Kniebeugen. Keines der beiden Workouts veränderte signifikant die Cortisol- oder Testosteronkonzentration.

Alles in allem zeigt die Studie also keinen Zusammenhang zwischen der Quantität der Muskeln, die an einer Übung beteiligt sind, und der Größe der neuralen Ermüdung, die sie hervorruft. Auch Isolationsübungen können zu einer Ermüdung des ZNS führen. Compound-Übungen tun dies nicht unbedingt.

Wenn es überhaupt eine Beziehung zwischen den beiden gibt, dann ist sie sicher nicht so stark wie bisher behauptet. Das liegt wiederum daran, dass man das ZNS eher mit einem Computer vergleichen kann, als mit einem Muskel: Komplexere Aufgaben führen nicht unbedingt zu mehr Ermüdung.

Mythos C: Eine ZNS-Ermüdung erfordert eine längere Erholungszeit als rein muskuläre Ermüdung

Man hört oft, dass sich deine Muskeln zwischen den Trainingseinheiten gut erholen, aber dein ZNS nicht. Mit der Zeit kann diese Ansammlung von Ermüdung zu Übertraining führen. Coole Theorie, aber lass uns mal die Daten dazu ansehen.

Latella et al. (2016) untersuchten den Verlauf der ZNS-Erholung nach einem Krafttraining. Sie schafften es, eine satte 46%ige Abnahme der kortikospinalen Erregbarkeit zu bewirken. Dies bedeutet massive neuronale Ermüdung. Was glaubst du, wie viele Tage es dauerte, bis sich das ZNS erholte?

Es dauerte 20 Minuten, bis sich das ZNS erholte.

Es gab keinen signifikanten Verlust des MEP (motorisch evozierten Potentials) nach 10 Minuten. Andere Untersuchungen bestätigen, dass die Ermüdung des ZNS nur in der Zeit unmittelbar nach dem Training erkennbar ist, obwohl der Muskelkater und die periphere neuromuskuläre Ermüdung mehr als 3 Tage brauchten, um sich zu erholen.

Dies erklärt wahrscheinlich das Fehlen der ZNS-Ermüdung in der Studie mit Elite-Athleten, die wir bereits besprochen haben: Howatson et al. haben die ZNS-Ermüdung 10 Minuten nach dem Training gemessen. Das könnte bereits zu spät gewesen sein, um diese überhaupt zu erkennen. Interessanterweise fanden Latella et al. auch Hinweise auf eine Hochregulierung des ZNS in den Tagen nach dem Training und nicht auf Ermüdung. Siehe dazu die Grafik unten.

MEP = Motor-Evoked Potential, das ist ungefähr die Signalstärke vom motorischen Kortex, zum trainierten Muskel. Eine Abnahme deutet darauf hin, dass das ZNS den Muskel nicht mehr vollständig aktivieren kann, was auf eine neurale Ermüdung schließen lässt.

Alle anderen Maße der zentralen Ermüdung in der Studie von Latella et al. zeigten keine Abschwächungen während der untersuchten 72-stündigen Erholungsphase. Auch in der Zeit unmittelbar nach dem Training gab es keinen Einfluss. Es scheinen also nur bestimmte Teile der ZNS-Funktion anfällig für Ermüdung zu sein.

3. Zusammenfassung: ZNS-Ermüdung

Der Großteil der Ermüdung, die du während des Krafttrainings ansammelst, ist lokaler Natur: Nämlich Muskelschäden und metabolischer Stress.

Jede Art von Ermüdung des zentralen Nervensystems, wenn diese überhaupt auftritt, scheint völlig akut zu sein. Es dauert nicht Tage, bis sich dein Nervensystem erholt; das passiert innerhalb von Minuten. Über ZNS-Ermüdung müssen wir uns also keine Sorgen machen. 

Das Gefühl von „Müdigkeit“, dass du nach einem harten Training – auch länger – haben kannst, ist voraussichtlich meistens von hormoneller Natur bzw. eine Veränderung deiner Neurotransmittersituation.

Wenn dir solche Inhalte gefallen, dann würdest du den Henselmans PT Kurs lieben.


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