Grundsätzlich kann man sich mit der Idee anfreunden, dass Krafttraining für den Stressabbau hilfreich sein kann.
Jetzt denkst du dir vielleicht: Aber Krafttraining ist doch auch ein Stressor? Ich sollte mich ja schonen, wenn ich gestresst bin!
Nun: Ja und Nein.
Dazu müssen wir verstehen, was Stress ist und wie man Körper und Geist hinsichtlich Stress managen kann.
Training als Ausgleich
Wenn Krafttraining als reiner Ausgleich betrieben wird, dann sollte man das Trainingsvolumen (nicht unbedingt die Frequenz) pauschal geringer halten, da Krafttraining, vor allem bei progressiver und geplanter Trainingsstruktur deutliche Erholungsressourcen benötigt – welche von Arbeit oder anderen Anstrengungen abgezogen werden müssen.
Es gibt einen Grund, warum Meditation, Entspannungstrainings etc. immer beliebter werden. Wahrscheinlich deshalb, weil chronischer Stress immer prävalenter in unserer Gesellschaft wird, da wir als Menschheit schneller und erreichbarer werden.
Dieses Schnellerwerden der Gesellschaft fordert also ganz bewusstes Stressmanagement von uns – so wie noch nie zuvor. Die Frage ist nun also: Wie kommen wir mit dem ganzen Stress klar?
Stress ist nicht immer schlecht. Die Dosis macht das Gift
In der Forschung sprechen wir von Eustress (“positiv”) und Distress (“negativ”). Aber die beste Art, sich Stress vorzustellen ist ganz neutral – und zwar einfach als Reizung bzw. Stimulation.
Manche Dinge sind von Natur aus stimulierender (psychisch bzw. körperlich) als andere Dinge und das Ausmaß an Stimulation hängt vom äußeren (Umwelt) und inneren (Individuum) Umfeld ab.
Der Mensch braucht ein bestimmtes Maß an körperlicher und geistiger Stimulation, um gesund zu bleiben und zu funktionieren. Gerät dieses homöostatische System ins Wanken, drängt uns meistens etwas wieder in Richtung Equilibrium.
Haben wir zu wenig Stimulation -> geht es uns meistens besser wenn wir uns betätigen, unter Leute gehen, uns neue Herausforderungen stellen.
Haben wir zu viel Stimulation -> geht es uns meistens besser wenn wir uns weniger betätigen, weniger Herausforderungen stellen und mehr in die Natur gehen.
Fazit: Wenn du gar keine Herausforderungen in deinem Alltag hast, wirst du dich wahrscheinlich besser fühlen, wenn du dir etwas suchst, dass dich fordert – körperlich und/oder psychisch. Sei dir aber bewusst, dass du begrenzte Kapazitäten hast. Wenn du 4 Ziele mit maximaler Vehemenz gleichzeitig verfolgen willst, kann das schnell nach hinten losgehen.
Ich empfehle 1-2 größere Vorhaben oder Projekte, an denen man in einem kurzen bis mittleren Zeitrahmen arbeitet.
Woran erkenne ich zu viel Stress?
Typischerweise macht sich zu viel Stress nicht nur als Empfindung sondern auch körperlich bemerkbar. Je nach Person klagen manche Leute bei zu viel Stress vermehrt über körperliche, andere vermehrt über psychische Symptome, hier eine Liste an Symptomen, die typischerweise bei zu viel Stress vermehrt auftreten:
- Kopfschmerzen
- Schlafprobleme
- Muskelverspannungen
- Reizbarkeit
- Probleme bei der Konzentration
- Schlappheit
- Veränderungen in den Essgewohnheiten
- Magenbeschwerden
- Ängstlichkeit
- Häufige Erkältungen
Wenn du eines oder mehrere dieser Symptome erkennst, dann gilt es zumindest Vorsicht zu walten, wie es sich entwickelt. Je früher du gegensteuerst, desto besser.
Achtung vor “versteckten” Stressoren
Es ist nicht immer unmittelbar ersichtlich, was uns belastet. Es gibt also einen enormen subjektiven Anteil beim Thema Stress.
Die objektiv gleiche Situation kann für Person A optimal stimulierend und für Person B völlig über- oder unterfordernd sein.
Die Corona-Krise machte dies vielen von uns deutlich. Scheinbar kaum Stressoren, die auf uns direkt einwirken, aber die ständige Sorge, welche gesellschaftlichen Veränderungen stattfinden werden (Arbeitsplatz, Lockdowns etc.), machte einigen deutlich zu schaffen.
Der Stressor bei etwas wie der Corona-Krise ist also vielmehr die Unsicherheit über die Zukunft.
Tatsächlich kann unser Hirn häufig nicht zwischen echter, unmittelbarer und vorgestellter, potenzieller Gefahr unterscheiden.
Somit fährt es alle stressrelevanten Systeme hoch, als wären wir in unmittelbarer Lebensgefahr – mit den oben genannten typischen Symptomen von zu hohem Stress.
Fazit: Sei dir immer bewusst, dass Tätigkeiten oder Situationen, die mit viel Unsicherheit oder Verantwortung einhergehen, wesentlich belastender sind als solche, die einen klar geregelten Ablauf mit wenig Spielraum haben.
Ist Training also “positiver” oder “negativer” Stress?
Auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift.
Ganz pauschal gesagt ist die körperliche Belastung, der ein heutzutage lebender Mensch ausgesetzt ist, eher gering. Weshalb man allgemein die Empfehlung machen kann, sich mehrere Male pro Woche intensiv zu betätigen. Idealerweise mit Kraftsport.
Wir wissen, dass Kraftsport langfristig nicht nur Muskelmasse aufbaut, sondern auch, dass Leute die vor allem Kraftsport machen, auch schlanker sind, als Leute die beispielsweise vor allem Cardiotraining machen.
Trotzdem sollte man sich gewahr sein, dass hochintensives Training ein Stressor, eine Stimulation für den Körper ist.
Und gerade in Zeiten, wo sehr viel sonstige Stimulation stattfindet, musst du dir zumindest gewahr sein, welches Trainingsausmaß für dich im Rahmen liegt.
Denn wir wissen, dass psychischer Stress z.B. den Kraftaufbau reduzieren kann und dass man sich bei hohem psychischen Stress doppelt so lange von seinen Trainings erholen muss.
Wieviel Stress bin ich derzeit ausgesetzt?
Um eine grobe Idee zu erhalten, wie dein derzeitiges Stressniveau ist, haben wir ein kurzes Quiz zusammengestellt, wo du unmittelbares Feedback bekommst:
Zusammenfassung Krafttraining gegen Stress
Stress wird am besten neutral als Stimulation verstanden. Manchmal braucht es MEHR Stimulation, manchmal WENIGER.
Die meisten Leute würden von regelmäßigem Krafttraining profitieren und es würde einen Ausgleich in ihrem Leben schaffen.
Trotzdem muss man sich das Thema Stress unabhängig vom Training genauer ansehen.
Bist du ständig unterfordert und leicht depressiv?
- Wahrscheinlich brauchst du eine neue Herausforderung die dir mehr Antrieb gibt.
Bist du ständig unter Zeitdruck, hast Gedankenrasen und körperliche Symptome von zu hohem chronischen Stress?
- Dann brauchst du wahrscheinlich weniger Stimulation oder eine andere Stimulationsmodalität.
Geh mehr in die Natur, unterhalte dich mehr mit vertrauten Personen. Achte mehr auf deinen Körper.
Die schlaueste Herangehensweise ist es im Idealfall präventiv zu managen, wie viel Stimulation du dir auferlegst.
Das ist natürlich nicht immer möglich – das Leben spielt schließlich nicht immer nach Plan.
Gerade in solchen Momenten wird es dann wichtig, kognitiv flexibel zu bleiben und zu erkennen, was du gerade benötigst, um schnellstmöglich wieder in ein Equilibrium zu kommen.
Erkenne dich selbst und du verstehst die Welt ein Stück besser. Du selbst und dein Umfeld werden es dir danken.