Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung beträgt die empfohlene Menge Protein pro Tag für Erwachsene zwischen 19 und 65 Jahren 0,8g / kg Körpergewicht pro Tag. Das wären 80g Protein pro Tag für eine Person mit 100 kg.
Nun, für generelle Gesundheitszwecke stimme ich damit überein. Allerdings hätten, so die Autoren, Sportler keinen erhöhten Bedarf an Protein.
Begründet wird dies damit, dass aufgrund der Studienlage kein erhöhter Bedarf beobachtet wurde. Nun, leider werden diese Studien nicht erwähnt. Und eine Aussage wissenschaftlich klingen zu lassen ist einer der ältesten Marketing Tricks die ich kenne.
Auf der anderen Seite haben wir Nahrungsergänzungsmittelfirmen, die einem sagen, dass man als Kraftsportler ständig mit einem Shake in der Hand herumrennen soll; nach dem Motto: Je mehr Protein, desto besser!
Wo liegt nun die Wahrheit?
Lass uns die Literatur hinsichtlich Effekte der täglichen Proteinzufuhr betrachten, um herauszufinden, was nun wirklich die optimale Menge an Protein ist.
Studien zur optimalen Proteinzufuhr
Alle Werte in den unteren Aufzählungen werden als Gramm Protein pro Pfund Körpergewicht pro Tag ausgedrückt. Bei all diesen Studien wurde für die Energiezufuhr kontrolliert, entweder basierend auf individuellen Anforderungen oder indem die Energiezufuhr unter allen Versuchsbedingungen gleichgestellt wurde, so dass nur der Proteinanteil in der Ernährung zwischen den Gruppen variierte.
Wenn die Studien auf unzuverlässigen Methoden wie dem Stickstoffhaushalt, einem Marker für fettfreie Körpermassenveränderungen, basierten, werden sie hier nur dann genannt, wenn für Schwitzen und Ernährungsanpassungszeiten kontrolliert wurde.
Tarnopolsky et al. (1992) fanden keine Unterschiede in der Ganzkörperproteinsynthese oder den Indizes der mageren Körpermasse bei Kraftsportlern, die entweder 1,41g/kg oder 2,42g/kg über einen Zeitraum von 2 Wochen konsumierten. Die Proteinoxidation nahm in der proteinreichen Gruppe zu, was auf eine Nährstoffüberfülle hinweist.
Walberg et al. (1988) fanden bei Gewichthebern heraus, dass 1,61g/kg ausreichen, um eine positive Stickstoffbilanz bei einer Diät über einen Zeitraum von 7 Tagen aufrechtzuerhalten.
Tarnopolsky et al. (1988) fanden heraus, dass nur 0,81 g/kg benötigt wurden, um eine positive Stickstoffbilanz bei Elite-Bodybuildern (über 5 Jahre Erfahrung, mögliche vorherige Verwendung von Androgenen) über einen Zeitraum von 10 Tagen aufrechtzuerhalten. 0,99g/kg war ausreichend, um die fettfreie Körpermasse bei Bodybuildern über einen Zeitraum von 2 Wochen zu erhalten. Die Autoren schlugen vor, dass 1,21 g/kg für Bodybuilder ausreichend waren.
Lemon et al. (1992) fanden keine Unterschiede in der Muskelmasse oder Kraftzuwächse bei Anfängern, die entweder 1,34 g/kg oder 2,62g/kg über einen Zeitraum von 4 Wochen konsumierten. Basierend auf den Daten der Stickstoffbilanz empfohlen die Autoren 1,65 g/kg.
Hoffman et al. (2006) fanden keine Unterschiede in der Körperzusammensetzung, Kraft oder hormonellen Ruhekonzentrationen bei Kraftsportlern, die entweder 1,3 g/kg oder >2g/kg über einen Zeitraum von 3 Monaten konsumierten.
Darüber hinaus finden 20 andere Studien keinen Nutzen von mehr als 1,6g/kg Protein pro Tag. Siehe z.B. hier und hier. Das Menno Henselmans Forschungsteam hat selbst eine wissenschaftliche Studie in Zusammenarbeit mit der University of Cambridge durchgeführt, um zu untersuchen, ob eine höhere Proteinzufuhr die Regeneration in den Tagen nach einem harten Training fördert. Nun, dem war nicht so.
Um zu überprüfen, ob es vielleicht immer noch einen kleinen Vorteil gibt, wenn man höher mit dem Protein geht, hat Menno Henselmans eine Meta-Analyse mit einigen der weltweit führenden Fitnessforscher mitverfasst. Hier wurde wieder ein Cut-off-Punkt bei genau 1,6g/kg/d gefunden, über den hinaus keine weiteren Vorteile für das Muskelwachstum oder den Kraftaufbau zu sehen sind: siehe die folgenden Ergebnisse:
Basierend auf der soliden Forschung, sind viele Reviews zu dem Schluss gekommen, dass 1,8 g/kg die Obergrenze ist, wo die Proteinzufuhr die Körperzusammensetzung verbessert (Phillips & Van Loon, 2011). Diese Empfehlung beinhaltet oft ein doppeltes 95%iges Konfidenzniveau. Das bedeutet, man nimmt die höchste mittlere Aufnahme, bei der noch Vorteile beobachtet wurden, und fügt dann zwei Standardabweichungen zu diesem Niveau hinzu. So wird sichergestellt, dass alle möglichen Vorteile einer zusätzlichen Proteinzufuhr genutzt werden.
Das folgende Bild fasst die Literatur zusammen. Wie man sehen kann, ist 1,8g/kg (0,82g/lb) der Punkt, an dem die zusätzliche Proteinaufnahme aufhört, irgendwelche Vorteile zu bringen.
Aber ich trainiere härter!
Wenn du immer noch denkst, dass du mehr als 1,8g/kg brauchst, aus dem Grund dass du härter trainierst als diese Testpersonen, denk noch einmal nach. Lemon et al. (1992) untersuchten Bodybuilder, die 1,5 Stunden pro Tag, 6 Tage pro Woche trainieren und kamen dennoch zu dem Schluss, dass 1,65 g/kg die höchste Aufnahme ist, bei der Vorteile für die Körperzusammensetzung auftreten könnten.
Aber ich bin fortgeschrittener als diese Freaks!
Ein weiterer häufig gehörter Einwand ist, dass die Leute, die mehr Erfahrung haben auch mehr Protein brauchen. Nun, Tarnopolsky et al. (1988) untersuchten Elite-Bodybuilder und fanden heraus, dass weniger Protein benötigt wurde als bei Anfängern.
Tatsächlich wurde das Ergebnis, dass der Proteinbedarf mit der Trainingserfahrung mehr und mehr sinkt, in mehreren Studien repliziert (Rennie & Tipton, 2000; Hartman, Moore & Phillips, 2006; Moore et al. 2007)
Wie kann das sein?
In jedem Menschen herrscht sowohl eine konstante Proteinsynthese als auch ein konstanter Proteinabbau. Das Krafttraining bewirkt, dass sowohl der Abbau als auch die Synthese zunehmen, normalerweise zugunsten einer Bilanz mit höherer Synthese.
Wenn du in deinem Training fortschreitest, wird der Körper effizienter darin, den Abbau von Proteinen, der durch das Training entsteht, zu verhindern. Da nun weniger Protein wiederaufgestockt werden muss, bedeutet diese Erhöhung des Stickstofferhalts, dass weniger Protein für ein optimales Wachstum benötigt wird.
Zweitens, je fortgeschrittener man ist, desto weniger steigt die Proteinsynthese nach dem Training an. Wenn du muskulöser wirst und dich deinem genetischen Limit näherst, wird nach jedem einzelnen Training weniger Muskelmasse aufgebaut.
Das ist sehr intuitiv verständlich. Je langsamer du Muskeln aufbauen kannst, desto weniger Protein wird für ein optimales Wachstum benötigt. Es würde keinen Sinn ergeben, wenn der Körper mehr Protein bräuchte, um weniger Muskeln aufzubauen, besonders wenn man bedenkt, dass der Körper effizienter wird, wenn es darum geht, Protein zu metabolisieren.
Aber was ist bei einer Diät?
Ein letzter Einwand, den man öft hört ist, dass diese Werte während des Aufbaus bzw. bei Erhaltungskalorien stimmen, aber eine Diät würde mehr Protein erfordern, um die Muskelmasse zu erhalten. Walberg et al. (1988) untersuchten Gewichtheber auf einer Diät und fanden auch hier heraus, dass 1,61g/kg ausreichten, um die fettfreie Körpermasse zu erhalten.
Eine vielleicht noch aussagekräftigere Studie ist von Pikosky et al. im Jahr 2008. Die Forscher nahmen eine Gruppe von Probanden mit Ausdauertrainingserfahrung und ließen sie entweder 0,9 oder 1,8g/kg Protein pro Tag konsumieren. Zusätzlich zu ihrem regulären Training, fügten sie Training im Wert von 1000 kcal hinzu.
Diese Kerle liefen buchstäblich mit einem Kaloriendefizit von 1000 Kalorien und erhöhten gleichzeitig ihr Trainingsvolumen drastisch. Ein sogenannter „hoch kataboler Zustand“….
Natürlich sank die Stickstoffbilanz in der proteinarmen Gruppe. Die Proteinzufuhr von 1,8 g/kg in der anderen Gruppe bewahrte die Probanden jedoch vollständig vor jeglichem Muskelschwund. Stickstoffbilanz, Ganzkörper-Proteinumsatz und Proteinsynthese blieben unverändert.
Eine weiterer Artikel, der sich mit der optimalen Proteinzufuhr in einem Defizit beschäftigt und die Forschung von Eric Helms kritisch betrachtet, findest du hier.
Auch der vermeintliche Unterschied in der stickstoffschonenden Wirkung von Kohlenhydraten und Fett ist vernachlässigbar (McCargar et al. 1989; Millward, 1989).
Keines von beiden verschont tatsächlich Protein. Nur Protein verschont Protein. Die proteinschonende Idee kam wahrscheinlich von einer falschen Interpretation der Stickstoffbilanzliteratur. Diese zeigt, dass mehr Magermasse bei schwereren Kaloriendefiziten verloren geht. Eine einfache Erklärung für diese Feststellung ist: Je mehr Gesamtmasse jemand verliert, desto mehr Magermasse wird auch verloren gehen. Da gibt es keine Überraschungen.
Es gibt also einfach keinen empirisch fundierten Grund zu der Annahme, dass wir bei einer Diät mehr als 1,8g/kg Protein pro Tag benötigen. Wenn überhaupt, könnte man behaupten, dass der Körper in der Lage sein sollte, mehr Protein während der Aufbauphasen verwenden, weil mehr Muskeln aufgebaut werden und viele andere Nährstoffe aufgenommen werden, die es ermöglichen können, mehr Protein zu verwerten.
Die einzigen Leute, die tatsächlich mehr Protein als 1,8g/kg benötigen, sind Leute mit ungewöhnlich hohen anabolen Hormonwerten. Konsumenten von Androgenen oder Wachstumshormonen fallen definitiv in diese Kategorie, aber es könnte auch sein, dass einige Jugendliche hier reinpassen.
Wenn du die höchste Testosteronproduktion erreichst, während du noch wächst (größentechnisch), kann dein ungewöhnlich hoher Gehalt an Wachstumshormon und Testosteron deinen Proteinbedarf erhöhen. Oder auch nicht. Es gibt keine Forschung, die das unterstützt. Leute mit erstaunlicher Bodybuilding-Genetik könnten sich hier auch qualifizieren, aber wenn dein Vater nicht gerade ein Silberrücken ist, bist du in dieser Hinsicht höchstwahrscheinlich genau wie die meisten anderen.
Warum halten sich Mythen wie >2g/kg aufrecht?
Warum sagen dann so viele Leute, dass man >2g/kg Protein konsumieren soll?
- Leute übernehmen die Ernährungspraktiken von Profi-Bodybuildern, die auf androgenen Steroiden sind. Steroide ermöglichen es dir, Muskelproteine viel schneller aufzubauen als Leute, die auf natürliche Weise trainieren.
- Leute basierten ihre Empfehlungen auf den uralten, fehlerhaften Stickstoffbilanzstudien.
- Die Heuristik: „Je mehr desto besser“. Es gibt so viele Studien, die zeigen, dass Protein gut für dich ist. Somit kann es verlockend sein anzunehmen, dass mehr davon noch besser ist.
- Nahrungsergänzungsfirmen haben einen offensichtlichen finanziellen Anreiz, um dich glauben zu lassen, dass du mehr Protein benötigst. Es gibt tatsächlich mehrere von der Industrie geförderte Studien, die absolut wundersame Vorteile des Konsums von mehr Protein zeigen (siehe zum Beispiel die Studien von Cribb).
- Dezimalstellen sind für die meisten Menschen eine Belastung. Deshalb wird einfach aufgerundet, z.B. auf ein leicht zu merkendes >2.
Es sei noch angemerkt, dass nichts Ungesundes oder Falsches daran ist, mehr Protein zu konsumieren, als der Körper zum Muskelaufbau verwenden kann. Der Überschuss wird dann einfach als Energie genutzt.
Und nein, eine hohe Proteinzufuhr schädigt die Nieren nicht, wie oft angenommen. 2 großartige Reviews von Elswyk et al. 2018 und von Devries et al. 2018 fanden keine Anzeichen irgendwelcher Probleme. Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) steigt zwar an, das ist aber eine harmlose Anpassung der Nieren und kein Zeichen für irgendwelche Schäden.
Es gibt allerdings einen anderen Grund, warum ein hoher Proteinkonsum unpraktisch sein kann: Protein ist, verglichen mit anderen Energiequellen, einfach relativ teuer.
Sättigungsgefühl und Nahrungsmittelpräferenzen sind also die einzigen plausiblen Gründe, warum jemand übermäßiges (unnötiges) Protein konsumieren sollte.
Fazit
- Für natürlich Trainierende gibt es normalerweise keinen Vorteil, mehr als 1,8g/kg Protein pro Tag zu konsumieren. Weder Muskelerhalt noch Muskelaufbau verbessern sich ab diesem Wert. Darin ist bereits eine Spanne nach oben hin enthalten, da die meisten Untersuchungen nach 1,41g/kg keinen Nutzen mehr finden.
- Die optimale Proteinzufuhr nimmt mit dem Trainingsalter ab, da der Körper den durch das Training verursachten Proteinabbau effizienter verhindert. Das bedeutet, dass weniger Protein für die immer geringere Muskelmasse benötigt wird, die nach jedem Training aufgebaut wird.
Dieser Artikel wurde von Menno Henselmans verfasst und von Thomas Campidell adaptiert.
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