In den 1940er Jahren verwendete der Psychologe William Herbert Sheldon Tausende von Fotos von nackten Studenten der Ivy League ohne deren Zustimmung, um eine Klassifizierung der menschlichen Körperform zu erstellen.
Er fand heraus, dass sich unsere Struktur in drei Dimensionen zusammenfassen lässt: Endomorphie, Ektomorphie und Mesomorphie.
Sheldons ursprüngliche Arbeiten versuchten, unseren Körpertyp (Somatotyp) mit unserer Persönlichkeit und einigen naziähnlichen Vorstellungen vom menschlichen Wert in Verbindung zu bringen. Andere Wissenschaftler haben diese Ideen natürlich schnell wieder verworfen, aber Sportwissenschaftler haben die Klassifizierung aufgegriffen.
Die gängige Fitnessweisheit besagt, dass dein primärer Körpertyp vorgibt, wozu du begabt bist und möglicherweise auch, wie du trainieren und dich ernähren sollst. Die Theorie lautet kurz gefasst wie folgt:
- Endomorphs sind massig: Es fällt ihnen leicht, Muskeln und Kraft zuzulegen, aber es fällt ihnen schwer, Fett abzubauen. Prädestiniert für Kraftdreikampf.
- Ektomorphs sind große und dünne Hardgainer, die mühelos schlank werden, aber es schwer haben, Muskeln zuzulegen. Sozusagen bestimmt für… den Catwalk?
- Mesomorphe Leute haben das Beste aus beiden Welten. Eine solche Person ist für den Mr. Olympia prädestiniert.
Die drei Körpertypen sind analog nach den drei Keimschichten während unserer Embryonalentwicklung benannt: Aus dem inneren Endoderm entwickelt sich vor allem unser Darm, aus dem mittleren Mesoderm entstehen vor allem unsere Muskeln und aus dem äußeren Ektoderm entwickeln sich andere Dinge wie unsere Haut und Haare.
Werfen wir einen Blick auf die Wissenschaft der Somatotypisierung. Was sagt dir dein Somatotyp darüber, wie du trainieren und dich ernähren sollst?
Was ist dein Körpertyp: Endomorph, Ektomorph oder Mesomorph?
Die bekannteste Somatotypisierungsmethode ist die Heath-Carter-Methode. Dabei werden verschiedene Körpermaße mit einem Maßband gemessen und mathematische Formeln zur Berechnung der 3 Dimensionen verwendet. Solange du kein Sportwissenschaftler bist, brauchst du nicht so detailliert zu sein.
Eine gute Vorstellung von deinem primären Körpertyp erhältst du, wenn du in den Spiegel schaust: Ist dein Körper groß und schlank (ekto), rund und dick (endo) oder ästhetisch und athletisch (meso)?
Viele Studien gehen sogar von Fotos aus und nicht von persönlichen Körpermaßen. Die meisten Leute liegen irgendwo in der Mitte, aber du hast wahrscheinlich eine gute Vorstellung von deinem Haupttyp.
Was sagt dir dein Körpertyp darüber, wie du trainieren solltest?
In einigen Fitnesskreisen wird die Vorstellung, dass der Körperbau etwas über die Physiologie der Muskeln oder des Körpers im Allgemeinen aussagt, als reine Pseudowissenschaft angesehen. Van Etten et al. haben jedoch bereits 1994 harte Daten dafür vorgelegt, dass Personen mit einem soliden Körperbau beim Krafttraining mehr Muskeln aufbauen als Personen mit einem schlanken Körperbau.
In manchen Fällen ist die Wissenschaft seltsamer als die Fiktion: Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass das Verhältnis der Länge unseres Zeigefingers zum Ringfinger (2D:4D-Verhältnis) mit unserem sportlichen Erfolg zusammenhängt.
Das 2D:4D-Verhältnis sagt beispielsweise den Rang von Sumo-Ringern voraus und kann zwischen Freizeit- und Weltklasse-Ringern unterscheiden. Unser 2D:4D-Verhältnis korreliert damit, wie viel Testosteron wir im Mutterleib ausgesetzt waren, was viele Dinge beeinflusst.
Das Verhältnis unserer Fingerlängen kann sogar bis zu einem gewissen Grad unsere sexuellen Vorlieben vorhersagen. Etwa wie wahrscheinlich es ist, dass jemand homosexuell ist (mittleres Verhältnis zu Männern und Frauen) und wie wahrscheinlich es ist, dass eine Lesbe das „Männchen“ oder „Weibchen“ ist [1, 2, 3, 4].
Im Allgemeinen gilt: Je länger der Ringfinger und je kürzer der Zeigefinger, desto eher ist man männlich und sportlich.
Wir haben auch eine Studie, in der Kinder in 3 Gruppen eingeteilt wurden: Krafttraining, Ausdauertraining oder kein Training. Der Somatotyp hatte einen signifikanten Einfluss auf die Leistungssteigerung. So wurde beispielsweise die Mesomorphie mit den größten Verbesserungen bei der Sprintgeschwindigkeit in Verbindung gebracht, während die Ektomorphie mit den größten Verbesserungen bei der aeroben Fitness („Ausdauer“) verbunden war.
Die gleichen Leistungsmerkmale, die durch unseren Somatotyp positiv beeinflusst werden, scheinen auch zu einer erhöhten Trainierbarkeit zu führen. Dies ist wahrscheinlich zum Teil motivationsbedingt: Wir mögen Dinge, die wir gut können und strengen uns deshalb mehr an. Wenn du beim Marathonlauf eine Niete bist, aber beim Sprinten überragend, ziehst du es wahrscheinlich vor zu sprinten.
Wahrscheinlich gibt es aber auch eine genetische Komponente, denn andere Untersuchungen haben ergeben, dass wir bessere Ergebnisse erzielen, wenn wir mit einem Umfang und einer Intensität trainieren, die zu unserem Genotyp passen.
Wenn wir die besten Fitnesszuwächse bei der Art von Training erzielen, für die wir am meisten begabt sind und unser Somatotyp beeinflusst, worin wir gut sind, sollten wir herausfinden, für welche Art von Training unser Somatotyp am besten geeignet ist. Es gibt eine Menge Forschung zu diesem Thema und sie ist sehr widersprüchlich:
- Untersuchungen an Judokas und Freizeittrainerenden haben ergeben, dass Mesomorphie positiv mit Kraft und Leistung korreliert und die Ektomorphie negativ, wie man es aufgrund der Somatotypentheorie erwarten würde, aber die Ektomorphie scheint eher die Fähigkeiten der Taekwondo-Elite zu definieren als die Mesomorphie.
- In einer Studie mit Freizeittrainerenden wurde festgestellt, dass die Mesomorphie die Kraft beim Kniebeugen und Bankdrücken positiv vorhersagt und die Ektomorphie nachteilig ist, während die Endomorphie die Kraft nicht vorhersagt und die Ektomorphie positiv mit der Kraft korreliert, wenn sie mit der Mesomorphie kombiniert wird. Andere Untersuchungen [2, 3] bestätigen, dass die Mesomorphie positiv mit der Stärke/Kraft korreliert; dies gilt jedoch auch für die Ektomorphie und die Endomorphie korrelierte in einer Studie nicht positiv, sondern negativ mit der Kraft.
- Je nach Leistungsmerkmal beeinflusst dies die Zusammenhänge mit dem Somatotyp. Es scheint, dass die Endomorphie positiv mit absoluten Kraftmessungen zusammenhängt, aber negativ mit relativer Kraft, wie z. B. Körpergewichtsübungen, für welche Ektomorphie ein positiver Leistungsprädiktor ist [2].
Während die Dimensionen des Somatotyps die körperliche Leistungsfähigkeit nur unzureichend erklären können, ergeben alle oben genannten Ergebnisse für die Messungen der Körperzusammensetzung, die unseren Somatotyp bestimmen, durchaus Sinn. In mehreren Studien wurden auch der Körperfettanteil und die fettfreie Körpermasse gemessen. Wenn man diese Korrelationen mit einbezieht, wird deutlich, dass die Körperzusammensetzung und nicht der Somatotyp entscheidend ist.
- Die Mesomorphie dient im Wesentlichen als abgeschwächtes Maß für die Muskelmasse, welche mit der absoluten Kraft korreliert ist.
- Die Endomorphie dient als abgeschwächtes Maß für den Körperfettanteil, der die Kraft im Verhältnis zum Körpergewicht bestimmt.
- Ektomorphie ist im Grunde das Gegenteil von Endomorphie in Bezug auf die Körpergröße.
Unser Somatotyp sagt also nichts darüber aus, bei welcher Art von Training wir am besten sind, was wir nicht viel besser anhand unseres Muskel- und Fettanteils und unserer Körpergröße vorhersagen können.
Bei der Somatotypisierung werden diese drei Variablen, die tatsächlich von Bedeutung sind, einfach in andere Dimensionen umgeordnet, wodurch die Korrelationen abgeschwächt werden. Zur Veranschaulichung der Bedeutungslosigkeit unseres Somatotyps sei angemerkt, dass der Somatotyp nicht so wirklich mit der Griffkraft zusammenhängt und die Kraft stattdessen meist nur eine Funktion der Körpergröße ist.
Vielleicht denkst du dir intuitiv, dass auch andere Körpermaße, wie die Länge unserer Oberschenkel, die Leistung beeinflussen. Manche Menschen haben vielleicht eine Struktur, die sich besser für Kniebeugen eignet, während andere Leute eine Struktur haben, die sich besser für Kreuzheben eignet. So plausibel es klingt, zeigen mehrere Studien durchweg, dass unsere Anthropometrie wenig bis gar keinen Einfluss auf die Leistung beim Kraftdreikampf hat: Die Kraft korreliert in erster Linie einfach damit, wie viel Muskeln wir haben, sowohl auf der gliedmaßenspezifischen, als auch auf Ganzkörperebene [2, 3].
Der Hauptunterschied zwischen Leistungs- und Spitzensportlern verschiedener Sportarten besteht auch darin, dass die Spitzensportler eher mesomorph sind. Bei fast allen Sportarten, bei denen Kraft eine Rolle spielt, korreliert die Leistung positiv mit der Muskulatur; und bei fast allen Sportarten, bei denen relative Kraft eine Rolle spielt, korreliert die Leistung negativ mit dem Körperfettanteil.
Der Hauptunterschied zwischen schlechteren und besseren Leistungssportlern in Kraftsportarten besteht also nicht darin, dass einige Leute mehr Glück mit ihrer Körperstruktur hatten, sondern dass die besseren Leistungssportler einfach schlanker und muskulöser sind. Hör also bitte auf, dich darüber zu beschweren, wie lang deine Oberschenkel sind, und leg dir einfach mehr Muskeln zu.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dein Körpertyp für dein Training nur insofern von Bedeutung ist, als dass er einen groben Hinweis auf deine Muskelmasse und deinen Körperfettanteil gibt. Dein Somatotyp an sich hat keinen Einfluss darauf, auf welche Art und Weise du Muskeln und Kraft aufbauen solltest.
Was sagt dir dein Körpertyp über deine Ernährungsweise?
Man könnte annehmen, dass endomorphe Menschen einen langsameren Stoffwechsel haben, weshalb sie dicker sind und ektomorphe Menschen einen schnelleren Stoffwechsel, weshalb sie schlanker sind. Der Somatotyp scheint jedoch nicht mit dem Grundumsatz (BMR) zu korrelieren.
In einer Studie mit koreanischen Fußballspielern hatten die Torhüter einen deutlich schnelleren Stoffwechsel als die anderen Spielerpositionen, obwohl sie denselben Somatotyp aufwiesen. Ihr höherer Grundumsatz war das Ergebnis von mehr fettfreier Masse. Da sie außerdem größer waren, änderte dies nichts an ihrem Somatotyp. Diese Studie veranschaulicht erneut, dass man in Bezug auf die Körperzusammensetzung und die Körpergröße und nicht in Bezug auf den Somatotyp denken sollte.
Tatsächlich ist der Zusammenhang zwischen Somatotyp und Ernährung eher umgekehrt. Ob du ein Endomorph bist, hängt vor allem von Umweltfaktoren (sprich: Deiner Ernährung) und nicht von deinen Genen ab, da es hauptsächlich von deinem Körperfettanteil abhängt, den du im Prinzip völlig selbst bestimmen kannst. Wenn du Fett verlierst, kannst du vom Endomorph zum Mesomorph (oder Ektomorph) werden.
Schaut euch die Transformationen von Menno und mir über die Jahre hinweg an:
Wir starteten als Endomorph, entwickelten uns zum Ektomorph und waren dann irgendwann plötzlich Mesomorph.
Die einzige Art und Weise, in der deine Körperstruktur Einfluss darauf hat, wie du dich anders als andere ernähren solltest, ist dein idealer Energieüberschuss beim Bulking (Aufbau). Da kräftig gebaute Personen schneller Muskeln aufbauen können als schlank gebaute Personen, kannst du von einem höheren Energieüberschuss profitieren.
Ansonsten sagt dir dein Körpertyp nur, ob du dich auf das Abnehmen (Fettabbau) oder den Muskelaufbau (Bulking) konzentrieren solltest, nicht aber, auf welche Art und Weise du dies tun sollest.
Schlussfolgerung
Dein Körpertyp (Somatotyp) ist lediglich eine Klassifizierung deiner derzeitigen Körperform. Die Ernährung und das Training, die du benötigst, um deine Körperform zu verändern, folgen den gleichen Grundsätzen wie bei jedem anderen Menschen.
Wir alle haben eine unterschiedliche Körperstruktur und manche Strukturen eignen sich besser für bestimmte Arten von Training als andere, aber die körperliche Leistung wird hauptsächlich durch dein Training und deine Körperzusammensetzung bestimmt, nicht durch deinen Körpertyp. Dein Körpertyp wird auch stark von deiner Körpergröße, deiner fettfreien Körpermasse (Muskelmasse) und deiner Fettmasse beeinflusst.
Deine Körperzusammensetzung wiederum wird weitgehend durch dein Training und deine Ernährung bestimmt, nicht durch deine Genetik. Du kannst deinen Somatotyp erheblich verändern, indem du schlanker und muskulöser wirst.
Es gibt also keinen zum Tode verurteilten Endomorph. Jeder kann schlank werden. Und während manche Menschen härter daran arbeiten müssen als andere, um Muskeln aufzubauen, kann praktisch jeder mesomorpher werden.
Dein Körperbau bestimmt dich also nicht. Du bestimmst deinen Körperbau.
Dieser Artikel wurde 2019 von Menno Henselmans und mir verfasst und nun auf Deutsch übersetzt.
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